Wie wearables die ambulante Hautmedizin verändern könnten Smarte Textilien in der Dermatologie

Smarte Textilien sind per definitionem weit mehr als Hightech-Fashion. Sie revolutionieren die Bekleidung und auch die Medizin. In der Dermatologie könnten sie neue Wege für Diagnostik, Prävention und Therapie eröffnen. Doch wie lassen sich diese Technologien sinnvoll in die ambulante Versorgung integrieren?

Ob Smartwatch, Fitnessarmband oder Sensor. Alle diese Tracker werden als Wearables bezeichnet und sind längst schon ein Teil unseres Alltags. Doch ihr wahres Potenzial entfalten sie erst, wenn sie medizinisch relevant werden. Ja, diese Möglichkeit, besteht durchaus. Gerade in der genannten Präzisionsmedizin, in der Daten super wichtig sind, könnten smarte Textilien zu einem der wichtigsten Instrumente in der Dermatologie werden. Denn keine andere medizinische Fachrichtung hat einen noch direkteren Zugang zu ihrem größten Organ als unsere Haut und damit wir Dermatologen. Dabei zeigen Forschung und Praxis zunehmend, dass eine kontinuierliche und patientennahe Datenerhebung nicht nur Lifestyle-Informationen liefert. Die Datenmenge hat auch klinische Relevanz. Von der Früherkennung entzündlicher Prozesse bis zur Therapieadhärenz bei chronischen Hauterkrankungen können Patienten wie auch wir Ärzte gleichermaßen profitieren. Und gerade bei uns in Deutschland, wo die ambulante dermatologische Versorgung oft am Limit arbeitet, könnten Wearables und smarte Textilien entscheidend zur Entlastung beitragen. Wie? Das lest ihr hier. 

 

Es ist wohl klar: Daten waren schon immer eine wesentliche Grundlage der Medizin. Unsere evidenzbasierte Medizin lebt von Daten. Doch während Labordaten, Bildgebung und Anamnesen längst Standard sind, bleibt der kontinuierliche Fluss physiologischer Parameter im Alltag bislang (leider) unterrepräsentiert. Wearables schließen genau diese Lücke. Dabei messen sie Temperatur, Feuchtigkeit, Herzfrequenz, Aktivität oder sogar biochemische Marker über Schweißanalysen. Und das Ganze unauffällig, non-invasiv und in Echtzeit! 

Gerade für die Dermatologie sind viele dieser Signale relevant. Die Hauttemperatur und -feuchtigkeit spiegelt zum Beispiel Entzündungsprozesse wider, Herzfrequenz und Schlafqualität liefern indirekte Marker für Stress und Juckreizintensität. Studien aus der Neurodermatitisforschung zeigen bereits, dass wearables helfen können, Schubmuster zu erkennen und Therapien individuell anzupassen. Smarte Textilien sind der nächste logische Schritt: Sie kombinieren Sensorik mit Tragekomfort und ermöglichen eine langfristige, alltagsnahe Erhebung. Eine Studie (1) aus dem Jahr 2022 beschreibt beispielsweise einen auf Baumwolltextil basierenden Sensor zur Bestimmung der Hautfeuchtigkeit. Solch ein smartes Textil wäre ideal zur Überwachung von trockener oder entzündlicher Haut, um Veränderungen der Hautbarriere frühzeitig erfassen zu können. 

 

Dabei ist es kein weiter Weg mehr von der Smartwatch zum Smart Shirt. Eine neue Generation medizinischer Sensoren steht in den Startlöchern. 

Während die erste Generation von Wearables, wie z.B. Fitnessarmbänder, noch auf externe Messpunkte beschränkt war, integriert die neue Generation die Technologie direkt in die Textilstruktur. Smarte Shirts, Pflaster oder Unterwäsche mit leitfähigen Fasern können damit Vitalparameter kontinuierlich erfassen, ohne dass ein Nutzer es bemerkt. Sensoren für Temperatur, Schweiß, pH-Wert oder Mikrozirkulation sind heute bereits nahezu marktreif. Ein aktuelles Beispiel ist die Entwicklung von smarter Unterwäsche, die den Zyklus messen kann. (2). In Kooperationen zwischen Forschungsinstituten, Start-ups und MedTech-Unternehmen werden zudem Textilien getestet, die UV-Exposition oder Wundheilung erfassen können. 

 

Dabei fällt den Medizinern auch eine weitere Aufgabe zu, nämlich die Daten zu verstehen, die gemessen wurde. Klar, wearables erzeugen Datenströme, die manuell kaum auszuwerten sind. Hier kommt  dann künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Moderne Machine-Learning-Modelle können Muster erkennen, zum Beispiel in Temperaturverläufen, Feuchtigkeitsprofilen oder Bewegungsdaten. Und zwar lange bevor ein Patient Symptome bemerkt. Während der COVID-19-Pandemie zeigten wearables, dass Temperaturveränderungen auf individueller Ebene früher als klinische Symptome auftreten können (3). Ähnliche Prinzipien lassen sich auf Hauterkrankungen übertragen. Wenn zum Beispiel smarte Textilien erhöhte Hauttemperatur oder veränderte Schweißzusammensetzung registrieren, könnten sie frühe Entzündungsschübe signalisieren. 

Wichtig ist dabei die Kombination aus Datentiefe und sogenannter „biologischer Kontextualisierung“. KI allein erkennt Muster, aber (bisher) können „nur“ wir Menschen klinisches Wissen richtig deuten. Deshalb ist interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Ingenieuren und Datenwissenschaftlern entscheidend. 

 

Wir halten fest: in der Dermatologie sind wearables mehr als Diagnosetools. Sie können helfen, Patienten aktiv in ihre Behandlung einzubinden. Mögliche Beispiele lassen sich in die Praxis überführen: Sensorpflaster für Neurodermitis könnten Kratzbewegungen und Hautfeuchtigkeit erfassen, ideal zur Erfassung von Schubaktivität. Postoperative Sensorpflaster könnten den Heilungsprozess durch Temperatur- und Feuchtigkeitsprofile überwachen. Und Textilien mit integrierten UV-Sensoren könnten sogar bei kritischer Sonnenexposition warnen. 

Diese Technologien ermöglichten individualisierte Therapien und könnten die Verlaufskontrolle, insbesondere im ambulanten Setting, wo Zeit und Personal knapp sind, deutlich erleichtern. 

 

Trotz aller Begeisterung gibt es Herausforderungen. Wie bei allen Innovationen sind Datenschutz, Interoperabilität, Regulatorik und Akzeptanz Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. In Deutschland sind viele Praxen noch papierbasiert, allein deswegen ist die Integration digitaler Datenströme organisatorisch und technisch anspruchsvoll. Hinzu kommt, dass smarte Textilien Medizinprodukte sind und dementsprechend der MDR (Medical Device Regulation) zugelassen werden müssen. Obligate Studien zur Wirksamkeit, Sicherheit und Trageakzeptanz sind erforderlich (und kostenintensiv). 

Letztlich fordert die Entwicklung eines Medizinprodukts nicht nur Kapital, sondern auch regulatorische Expertise. 

 

In der gesamten Euphorie soll aber auch die Patienten Perspektive berücksichtigt werden. Denn ein entscheidender Punkt ist der Umgang mit den gesammelten Daten. Wer sie versteht, gewinnt. Und zwar sowohl auf Patienten- als auch auf Arztseite. Wearables geben Patienten erstmals kontinuierliches Feedback über ihre eigene (!) Hautgesundheit. Diese Daten können (wie beschrieben) zum einen in der Arzt-Patienten-Kommunikation genutzt werden, um Therapieentscheidungen datenbasiert zu treffen. 

Das stärkt nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Adhärenz. Studien (4) zeigen, dass intrinsische Motivation, wie durch direktes Feedback über Fortschritte, langfristig deutlich nachhaltiger wirkt als finanzielle Anreize. Smarte Textilien könnten damit Teil eines neuen Feedbackloops werden: Daten - Einsicht - Verhalten - Therapieerfolg. 

 

Aber welche Bedeutung für die ambulante dermatologische Versorgung in Deutschland könnten smarte Textilien haben? 

Chronische Erkrankungen wie Neurodermitis, Psoriasis oder Rosazea erfordern regelmäßige Kontrollen, die Ambulanzen oft an ihre Kapazitätsgrenzen bringen. Wearables und smarte Textilien könnten hier entscheidend entlasten. 

Zum einen durch Fernmonitoring: Kontinuierliche Datenerhebung erlaubt damit teledermatologische Verlaufskontrollen. Aber auch in der Früherkennung spielen sie (wie oben beschrieben) über die Veränderungen der Hautparameter und damit Schub-Prognose eine Rolle. Und auch die Effizienz der Datengewinnung steigert sich. Wir Ärzte erhalten strukturierte, objektive Daten statt sporadischer Patientenberichte. 

Langfristig könnten solche Systeme damit auch Teil digitaler Versorgungspfade werden  zum Beispiel in Kombination mit DiGA-Plattformen oder elektronischen Patientenakten. 

 

Ob Utopie oder schon übermorgen, Fakt ist: die Zukunft der digitalen Dermatologie liegt im Austausch. Und zwar zwischen Ärzten, Entwicklern, Datenwissenschaftlern und Patienten. Nur wenn alle Akteure gemeinsam denken, können wearables ihr innovatives Potenzial entfalten. Dabei stehen smarte Textilien nur exemplarisch für den Wandel der Medizin. Die Perspektive verschiebt sich von der punktuellen Beobachtung hin zur kontinuierlichen Begleitung. Für uns Hautärzte bieten sie die Chance, objektive Daten direkt am Ort des Geschehens, also der Haut, zu gewinnen. Zwischen Sensorik, KI und klinischer Expertise entsteht somit eine ganz neue Form von digitaler Versorgung. 

Die Zukunft der Dermatologie könnte damit sogar tragbar werden, im wahrsten Sinne des Wortes. 

(BK) 

 

1: Jang M, Kim HD, Koo HJ, So JH. Textile-Based Wearable Sensor for Skin Hydration Monitoring. Sensors (Basel). 2022 Sep 15;22(18):6985. doi: 10.3390/s22186985. PMID: 36146334; PMCID: PMC9500932. 

2: myfibra.com 

3: Mason AE, Hecht FM, Davis SK, Natale JL, Hartogensis W, Damaso N, Claypool KT, Dilchert S, Dasgupta S, Purawat S, Viswanath VK, Klein A, Chowdhary A, Fisher SM, Anglo C, Puldon KY, Veasna D, Prather JG, Pandya LS, Fox LM, Busch M, Giordano C, Mercado BK, Song J, Jaimes R, Baum BS, Telfer BA, Philipson CW, Collins PP, Rao AA, Wang EJ, Bandi RH, Choe BJ, Epel ES, Epstein SK, Krasnoff JB, Lee MB, Lee SW, Lopez GM, Mehta A, Melville LD, Moon TS, Mujica-Parodi LR, Noel KM, Orosco MA, Rideout JM, Robishaw JD, Rodriguez RM, Shah KH, Siegal JH, Gupta A, Altintas I, Smarr BL. Detection of COVID-19 using multimodal data from a wearable device: results from the first TemPredict Study. Sci Rep. 2022 Mar 2;12(1):3463. doi: 10.1038/s41598-022-07314-0. Erratum in: Sci Rep. 2022 Mar 16;12(1):4568. doi: 10.1038/s41598-022-08723-x. PMID: 35236896; PMCID: PMC8891385. 

4: Cerasoli CP, Nicklin JM, Ford MT. Intrinsic motivation and extrinsic incentives jointly predict performance: a 40-year meta-analysis. Psychol Bull. 2014 Jul;140(4):980-1008. doi: 10.1037/a0035661. Epub 2014 Feb 3. PMID: 24491020.