Diagnose

Hereditäre Leiomyomatose

Diskussion
Die hereditäre Leiomyomatose (MIM 605839) ist ein autosomal-dominant vererbtes Syndrom, im Rahmen dessen es zum Auftreten von kutanen und uterinen Leiomyomen sowie Nierenzellkarzinomen kommen kann. Typischerweise treten im frühen Erwachsenenalter (Durchschnittsalter 24 Jahre) multiple hautfarbene bis rotbräunliche Papeln oder bis zu 2,5 cm durchmessende Knoten auf, welche besonders bei Kälte oder Druck schmerzhaft sind [ 1, 2 ] . Bei Frauen entwickeln sich oft frühzeitig multiple symptomatische Leiomyome des Uterus, die eine Hysterektomie erfordern können. Die empfohlene ultrasonographische Untersuchung bei unserer Patientin ergab drei kleine uterine Leiomyome. In einer Studie von Toro et al. lag die Hysterektomierate bei betroffenen nordamerikanischen Frauen im Alter von 30 Jahren bei 44 % [ 3 ] . Sehr selten kann es auch zur Entstehung von kutanen oder uterinen Leiomyosarkomen kommen [ 4 ] . Patienten mit hereditärer Leiomyomatose haben ein erhöhtes Risiko für benigne renale Zysten. In 16–20 % der Patienten entwickeln sich besonders aggressive Nierenzellkarzinome, die meist unilateral und solitär auftreten. Histologisch handelt es sich meist um papilläre Nierenzellkarzinome Typ 2, die bereits bei geringer Größe des Primärtumors metastasieren können [ 3, 5 ] . Der durchschnittliche Altersgipfel bei Auftreten dieser Nierenzellkarzinome liegt zwischen 30–35 Jahren, wobei der bisher jüngste beschriebene Patient bei Diagnosestellung 11 Jahre alt war [ 6 ] . Bei unserer Patientin zeigten sich im MRT lediglich zwei kleine, einseitig lokalisierte Nierenzysten.

Derzeit existiert keine Standardtherapie für das im Rahmen der hereditären Leiomyomatose auftretende metastasierte papilläre Nierenzellkarzinom Typ 2. Eine Phase-II-Studie zur Therapie mit Bevacizumab und Erlotinib ist im Gange [ 7 ] . 2002 konnte gezeigt werden, dass bei der hereditären Leiomyomatose die zugrundeliegende heterozygote Keimbahnmutation (Chromosom 1q42.3–q43) das Gen der Fumarat-Hydratase (FH), ein Enzym des Citratzyklus, betrifft [ 8 ] . Bisher sind 155 verschiedene Mutationen des FH-Gens beschrieben [ 9, 10 ] . Im vorliegenden Fall konnte ein bereits beschriebener heterozygoter Basenpaaraustausch an Position 935 der kodierenden Sequenz des FH-Gens molekulargenetisch bestätigt werden (c.935C>T; p.Phe312Ser). Eine Korrelation zwischen dem Genotyp der FH-Mutationen und dem Phänotyp konnte bisher nicht identifiziert werden.

Das FH-Gen wirkt vermutlich als Tumorsuppressor, da in den unterschiedlichen, mit hereditärer Leiomyomatose assoziierten Tumoren loss of heterozygosity (LOH) mit vollständigem Verlust der FH-Aktivität nachgewiesen werden konnte [ 8 ]. Dies führt zu einer Akkumulation von Fumarat, welches über verschiedene Mechanismen zu einer Akkumulation von hypoxia-inducible factor (HIF) führt und die Zelle in einen pseudohypoxischen Zustand versetzt. Ein erhöhter intrazellulärer HIF-Spiegel induziert die Transkription von protumorigenen Substanzen wie vascular endothelial growth factor (VEGF) und glucose transporter type 1 (GLUT-1) [ 11, 12 ]. Von Bedeutung bei der Tumorentstehung ist möglicherweise auch eine Fumarat-induzierte Hinaufregulation von Antioxidant-Response-Element (ARE)-kontrollierten Genen [ 13 ].

Vorsorgeuntersuchungen sind bei der hereditären Leiomyomatose von besonderer Bedeutung, um das Vorliegen von renalen Karzinomen und kutanen oder uterinen Leiomyosarkomen möglichst früh zu entdecken. Diesbezüglich bestehen derzeit keine verbindlichen Leitlinien. Empfohlen werden jährliche dermatologische, gynäkologische und Nieren-MRT-Untersuchungen sowie regelmäßige Sonographien der Nieren. Diese Untersuchungen sollen ab dem 8. Lebensjahr erfolgen, zunächst mit Ultraschalluntersuchungen, und, sobald dem Patienten zumutbar, mit den sensitiveren MRT-Untersuchungen fortgesetzt werden.

In Anbetracht des autosomal-dominanten Vererbungsmodus ist eine genetische Beratung mit Einbindung aller möglich betroffenen Familienmitglieder angezeigt [ 14 ]. Bei Nachweis solitärer oder multipler kutaner Leiomyome sollte immer das Vorliegen einer hereditären Leiomyomatose in Betracht gezogen, die Familienanamnese erhoben und gegebenenfalls eine möglicherweise lebensrettende weiterführende
Diagnostik zeitgerecht eingeleitet werden (Tabelle 1 ) [ 15 ].

Interessenkonflikt
Keiner.


Literatur
1 Gaus BM , Toberer F , Enk A et al. Multiple, flesh-coloured, firm, grouped papulonodules on the right forehead . J Dtsch Dermatol Ges 2011 ; 9 ( 5 ): 415 – 7 .
2 Hügel H . Fibrohistiocytic skin tumors . J Dtsch Dermatol Ges 2006 ; 4 ( 7 ): 544 – 55 .
3 Toro JR , Nickerson ML , Wei MH et al. Mutations in the fumarate hydratase gene cause hereditary leiomyomatosis and renal cell cancer in families in North America . Am J Hum Genet 2003 ; 73 ( 1 ): 95 – 106 .
4 Ylisaukko-oja SK , Kiuru M , Lehtonen HJ et al. Analysis of fumarate hydratase mutations in a population-based series of early onset uterine leiomyosarcoma patients . Int J Cancer 2006 ;
119 ( 2 ): 283 – 7 .
5 Gardie B , Remenieras A , Kattygnarath D et al. Novel FH mutations in families with hereditary leiomyomatosis and renal cell cancer (HLRCC) and patients with isolated type 2 papillary renal cell carcinoma . J Med Genet 2011 ; 48 : 226 – 34 .
6 Alrashdi I , Levine S , Paterson J et al. Hereditary leiomyomatosis and renal cell carcinoma: very early diagnosis of renal cancer in a paediatric patient . Familial Cancer 2010 ; 9 : 239 – 43 .
7 Menko FH , Maher ER , Schmidt LS et al. Hereditary leiomyomatosis and renal cell cancer (HLRCC): renal cancer risk, surveillance and treatment . Familial Cancer 2014 ; 13 : 637 – 44 .
8 Tomlinson IP , Alam NA , Rowan AJ et al. Germline mutations in FH predispose to dominantly inherited uterine fibroids, skin leiomyomata and papillary renal cell cancer . Nat Genet 2002 ; 30 ( 4 ): 406 – 10 .
9 Bayley JP , Launonen V , Tomlinson IP . The FH mutation database: an online database of fumarate hydratase mutations involved in the MCUL (HLRCC) tumor syndrome and congenital fumarase deficiency . BMC Med Genet 2008 ; 9 : 20 .
10 König A . Segmental leiomyomatosis: from haplotype to type Happle . J Dtsch Dermatol Ges 2005 ; 3 ( 9 ): 671 – 2 . 11 Isaacs JS , Jung YJ , Mole DR et al. HIF overexpression correlates with biallelic loss of fumarate hydratase in renal cancer: Novel role of fumarate in regulation of HIF stability . Cancer Cell 2005 ; 8 ( 2 ): 143 – 53 .
12 Shanmugasundaram K , Nayak B , Shim EH et al. The oncometabolite fumarate promotes pseudohypoxia through noncanonical activation of NF-kB signaling . J Biol Chem 2014 ; 289 ( 35 ): 24691 – 9 .
13 Ooi A , Wong JC , Petillo D et al. An antioxidant response phenotype shared between hereditary and sporadic type 2 papillary renal cell carcinoma . Cancer Cell 2011 ; 20 ( 4 ): 511 – 23 .
14 Van Spaendonck-Zwarts KY , Badeloe S , Oosting SF et al. Hereditary leiomyomatosis and renal cell cancer presenting as metastatic kidney cancer at 18 years of age: implications for
surveillance . Fam Cancer 2012 ; 11 ( 1 ): 123 – 9 .
15 Schmidt LS , Linehan WM . Hereditary leiomyomatosis and renal cell carcinoma . Int J Nephrol Renovasc Dis 2014 ; 7 : 253 – 60 .

 

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