Diagnose

Diagnose: Oro-fazio-digitales Syndrom Typ I

Weitere Untersuchungen
In einer Magnetresonanztomographie des Schädels zeigten sich leicht erweiterte innere und äußere Liquorräume sowie multiple zystische Veränderungen para- und periventrikulär. Die perivaskulären Räume waren erweitert und es bestand eine Okzipitallappenasymmetrie. Die Sonographie des Abdomens, Echokardiographie und Elektroenzephalographie ergaben jeweils unauffällige Befunde. Bei der zahnärztlichen Untersuchung wurde ein unvollständiges Milchgebiss diagnostiziert, sowie der Verdacht auf eine submuköse Spaltbildung im Bereich des Oberkiefers rechts geäußert. Anhand der Münchner funktionellen Entwicklungsdiagnostik wurde eine Sprachentwicklungsstörung festgestellt. Des Weiteren bestand der Verdacht auf eine kombinierte Entwicklungsstörung. 

Verlauf und Therapie:
Aufgrund der Anamnese und des klinischen Erscheinungsbildes in Zusammenschau mit der apparativen Diagnostik stellten wir die Diagnose eines oro-fazio-digitalen Syndroms (OFD) Typ I. Mittels Genotypisierung konnte eine Mutation c.431C>A in Exon6 des OFD1-Gens in heterozygotem Zustand nachgewiesen werden, womit sich die Diagnose bestätigte. Es wurde eine humangenetische Beratung veranlasst. Wir empfahlen Biotin (5 mg/Tag) per os gegen die Alopezie ut aliquid fiat, bezüglich der Milien ein abwartendes Verhalten. Von zahnärztlicher Seite wurde eine Kontrolle in einem Jahr empfohlen. Aufgrund des Verdachts auf eine Entwicklungsstörung erfolgte die Empfehlung für eine Frühförderung. 

Diskussion
Das OFD Typ I, auch Papillon-Léage-Psaume-Syndrom nach den beiden Erstbeschreibern benannt, ist ein seltenes hereditäres Syndrom mit einer Inzidenz von 1 : 50 000–1 : 250 000 Lebendgeburten [1]. Es zählt zu den bisher insgesamt 13 beschriebenen oro-fazio-digitalen-Syndromen, wobei das OFD Typ I X-chromosomal dominant vererbt wird. Bei männlichen Feten führt das OFD Typ I bereits intrauterin zum Tode [1, 2]. 

Zu den klinischen Symptomen zählen Dysmorphien des Gesichts (Asymmetrie, Hypertelorismus, verbreiterte Nasenwurzel, Hypoplasie des Nasenspitzenknorpels, Milien der Gesichtshaut), Fehlbildungen in der Mundhöhle (multiple und teils hyperplastische Frenula, Zungenfibrome, Zahnanomalien und Zahnaplasien, Lappungen und Kerbungen der Zunge, mediane Oberlippen-Gaumen-Spalte) und Fehlbildungen der Finger (Syndaktylie, Brachydaktylie, Polydaktylie) sowie eine Hypotrichose [1–7]. Die Hypotrichose kann entlang der Blaschko-Linien am Kopf verteilt sein [7]. Bei unserer Patientin zeigten sich neben den typischen dermatologischen Symptomen in Form der Hypotrichose und der Milien eine leichte Hypoplasie des Nasenspitzenknorpels, bei Geburt multiple Frenula an der Mundschleimhaut und eine Brachydaktylie der Finger und Zehen. Im Verlauf entwickelte sich ein unvollständiges Milchgebiss und es bestanden Hinweise für eine submuköse Spaltbildung im Bereich des Oberkiefers rechts. 

Bei etwa 50 % der Patientinnen mit OFD Typ I liegen zusätzlich Anomalien des ZNS (unter anderem Pachygyrie bis Agyrie, fehlendes Corpus callosum, Hydrozephalus, Arachnoidalzysten) mit leichter Retardierung vor. Des Weiteren finden sich häufig auch polyzystische Nieren, die oft frühzeitig zu einem terminalen Nierenversagen führen können [1–4]. 

Zu den Schlüsselmerkmalen, die dieses Syndrom von der Vielzahl verwandter oro-fazio-digitaler Syndrome unterscheiden, zählen die Milien am Kopf sowie die kongenitale nicht-fibrosierende Hypotrichose [2, 3]. 

Ätiopathogenetisch wird das OFD Typ I zu den Ziliopathien gezählt. Zilien sind dünne, röhrenförmige Fortsätze an der Zelloberfläche. Sie dienen der Zellfortbewegung und sind bei verschiedenen zellbiologischen Signalwegen beteiligt. Das OFD1-Gen kodiert hierbei ein Protein, das sich an der Basis der Zilien befindet und eine wichtige Rolle in der normalen Entwicklung der Zilien spielt. OFD1 scheint hierbei eine Funktion bei der Morphogenese bestimmter Körperteile (Gehirn, Gesicht, Extremitäten, Nieren) zu haben. Bisher wurden 99 verschiedene Mutationen im OFD1-Gen beschrieben. Die Ausprägung der einzelnen Krankheitsmerkmale ist inter- und selbst intrafamiliär sehr variabel [1, 5, 6]. Die Ursache hierfür ist das funktionelle X-chromosomale Mosaik, wobei die Verteilung der Defekte dem Zufall überlassen bleibt [3, 5–7]. 

Die Therapie ist primär symptomatisch ausgerichtet und erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zur möglichst frühzeitigen Erkennung nicht-dermatologischer Komplikationen. Üblicherweise kommt es bei den Milien zu einer Spontanremission in den ersten Lebensjahren, die Hypotrichose bleibt jedoch nach heutigem Wissen lebenslang bestehen. 

Zusammenfassend sollte man bei der klinischen Konstellation aus kongenitalen Gesichtsdysmorphien, Mundschleimhautveränderungen und Fingerabnormalitäten an ein OFD Typ I denken.

 

<< zurück

Die Diagnosequzze werden uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom 
"Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft" © Deutsche Dermatologische Gesellschaft