Darf ich Sie mal unterbrechen?

Mitten im Berufsalltag zwischen Patienten, Kollegen, Vorgesetzten und uns selbst taucht sie auf. Eine Frage, die selten laut ausgesprochen wird, aber immer mitschwingt: „Wie kann ich „Nein“ sagen, ohne unfreundlich zu wirken?“  

Genau diesem Thema widmete sich der Workshop von Torsten Klatt mit dem Titel: „Die Kunst, freundlich Nein zu sagen“. Es war eine Einladung zur Selbstreflexion, aber auch zur konkreten Strategiearbeit für den Alltag in medizinischen Berufen. 

Bereits beim Einstieg wurde klar: es geht um weit mehr als nur den individuellen Kommunikationsstil. Es geht darum, Grenzen zu setzen. Und um unsere Fähigkeit, diese in einer Kultur der Dauerverfügbarkeit und des allgegenwärtigen „gern, ganz, gleich“ auch bewusst zu setzen. 3G gibt es nämlich nicht nur beim Handyempfang („gern, ganz, gleich“). Denn wer immer „Ja“ sagt, läuft Gefahr, sich selbst zu verlieren, auch wenn man es anderen lieber Recht machen möchte. People pleasing halt. 

Dabei gestaltete sich der Online-Workshop als ein Gedankenspiel zwischen Anpassung und Selbstbestimmung.  Der erste Teil des Seminars führte tief in die persönlichen Ursachen von Abgrenzungsschwierigkeiten: Was haben unsere kindlichen Prägungen damit zu tun? Ja vielleicht, sogar unsere Erziehung. Und warum fällt es einem so schwer, „Nein“ zu sagen. Und zwar gerade dann, wenn wir uns zugehörig fühlen wollen oder Angst haben, Erwartungen zu enttäuschen? 

Mit anschaulichen Beispielen aus dem klinischen Alltag bot der Referent genug Reflexionsmöglichkeiten, wie 

  • Was passiert, wenn ich immer „Ja“ sage? 

  • Welche Vorteile hat es für mich, nicht „Nein“ sagen zu können – und bin ich bereit, diese loszulassen? 

Die ärztlichen Teilnehmenden fanden oft Antworten, die unbequem, aber individuell begründet waren. Dabei ist der erste Schritt zum „Nein“ die „innere Berechtigung, es überhaupt sagen zu dürfen“, so Torsten Klatt. 

Genau wie im Studium bedarf es manchmal mehr Strategie statt Bauchgefühl. Der Referent erläuterte, dass nach dem „Warum“ das „Wie“ folgt. „Welche konkreten Kommunikationsstrategien helfen euch, ein „Nein“ klar, freundlich und wirksam zu formulieren?“ fragte er in die Runde. Die stille Zuhörerschaft wartete auf seine Auflösung, auch wenn manche Antwort im limbischen System schlummerte. Deswegen zeigte er besonders eindrücklich die sogenannte „Plus-Minus-Minus-Plus“-Technik auf. 

  1. Mitfühlen („Ich verstehe, dass Ihnen das wichtig ist…“) 

  1. Klares Nein („…aber ich kann das heute nicht ermöglichen.“) 

  1. Kurze, sachliche Begründung („Unsere Abläufe sehen das so nicht vor.“) 

  1. Alternative anbieten („Ich biete Ihnen gerne für nächste Woche einen Termin an.“) 

Auch die „Schallplatten-Technik“, das heißt also die Wiederholung eines klaren Satzes in identischem Wortlaut wurde demonstriert und geübt. Denn manchmal hilft kein Argument mehr, sondern nur klare Haltung, auch körperlich. 

Im Versorgungsalltag befinden wir uns zwischen Tür und Angel und möchten trotzdem souverän agieren. Daher kamen neben der Theorie auch zahlreiche praxisnahe Rollenspiele nicht zu kurz. Wie reagiere ich auf den Dauerredner am Telefon? Wie auf die Patientin, die vor verschlossener Tür noch ein „kleines Anliegen“ hat, gemäß dem Motto „... wo ich schon mal da bin“? Und was mache ich mit einem Kollegen der regelmäßig Aufgaben abwälzt? Oder mit einem Chef, der zwischen Tür und Angel „nur mal eben“ eine Zusatzschicht ins Spiel bringt? 

Die gelernte Antwort ist nie ein unhöfliches „Nein“, sondern ein klares, respektvolles Setzen von Grenzen, kombiniert mit einem aufrichtigen „Ja“ zur eigenen Gesundheit und Professionalität. 

Mein Fazit: der Mittelweg ist lernbar. Nach einem Abend voller Aha-Momente, Tests, Formulierungsübungen und Selbstreflexion bleibt vor allem diese Erkenntnis: Nein sagen ist eine professionelle Kompetenz. Und sie lässt sich übrigens üben wie jede andere Fähigkeit auch: mit Geduld, Bewusstsein und der Bereitschaft, sich selbst ernst zu nehmen. 

Oder wie ein Teilnehmer es am Ende formulierte: „Ich habe heute nicht gelernt, „Nein“ zu sagen. Ich habe gelernt, „Ja“ zu mir zu sagen.“ 

Benjamin Kroh