Erst mal zum Primärarzt, oder was?

In der gesundheitspolitischen Debatte rückte bereits in der Vergangenheit das sogenannte Primärarztsystem in den Fokus. Dieses bezeichnet ein Versorgungsmodell, das in vielen unserer Nachbarländern bereits etabliert ist. Dabei ist die hausärztliche Versorgung, also der Hausarzt in seiner Praxis, die erste Anlaufstelle für Patienten. Die Hausärztin oder der Hausarzt koordiniert die Behandlung und entscheidet danach über mögliche Überweisungen zu Fachärzten. Ziel dieses Systems ist es, die medizinische Versorgung gezielter zu steuern, das heißt Doppeluntersuchungen zu vermeiden und Ressourcen effizienter zu nutzen. Und zwar sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung.

Internationale Vorbilder für ein solches System finden sich vor allem in Großbritannien und in den USA. Im britischen National Health Service (NHS) ist eine hausärztliche Überweisung zwingende Voraussetzung für den Besuch bei einer Dermatologin oder einem anderen Facharzt.  Ausnahmen von dieser Regel gibt es für gesetzlich Versicherte kaum. Zwar sorgt diese Handhabung für eine koordinierte Versorgung, allerdings bringt sie vor allem im ambulanten Bereich lange Wartezeiten mit sich, zum Beispiel bei chronischen, nicht akuten Hauterkrankungen. Auch in den USA sind viele Versicherungsmodelle ähnlich organisiert. Dabei findet eine primärärztliche Steuerung statt - und zwar von sogenannten Health Maintenance Organizations (HMO). Diese sind in den USA der Gate Keeper, wie es so schön heißt. Es gibt zwar auch Modelle, die einen direkten Zugang zu Fachärzten ermöglichen, allerdings sind diese oft mit deutlich höheren Kosten für die Patienten verbunden. Wir stellen fest: in beiden Systemen bleibt der Primärarzt oder die Primärärztin der zentrale Gate Keeper, mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Nutzung fachärztlicher und auch stationärer Kapazitäten. Mal ebenso zum Dermatologen, „wo ich schon mal da bin“ – geht nicht.

Im Gegensatz dazu bietet das deutsche Gesundheitssystem bislang einen weitestgehend freien Zugang zu Fachärzten. Wer sich an die Praxisgebühr erinnert, weiß, dass es schon mal anders war. Aber grundsätzlich gilt: Patienten können Dermatologen direkt aufsuchen, ohne vorher bei ihrer Hausärztin oder bei ihrem Hausarzt gewesen zu sein.

Das war politisch durchaus so gewollt, denn dadurch war ein schneller Zugang zur fachärztlichen Versorgung gesichert.

Nun aber führt eine freie Facharztwahl direkt zu einer hohen Inanspruchnahme von Facharztpraxen, vor allem in Großstädten und Ballungsgebieten. Niedergelassene Ärzte beklagen die Gefahr von Doppeluntersuchungen, ineffizienter Ressourcennutzung und einer zunehmenden Belastung der ambulanten Fachversorgung. Anders hingegen sieht es im stationären Bereich aus. Hier zeigt sich bereits eine stärkere Steuerung durch Zuweisung und Prüfung der Indikationsstellung (also zum Beispiel der Überweisung), sodass hier das Prinzip des Primärarztsystems zumindest indirekt bereits angewendet wird.

Vor diesem Hintergrund wurde auf dem Bundesärztetag 2025 in Leipzig intensiv über die Einführung eines Primärarztsystems in Deutschland diskutiert. Die Delegierten sprachen sich in Summe mehrheitlich dafür aus, dieses zu prüfen und dann umzusetzen. Ein solches System würde also dann bedeuten, dass Patienten künftig zunächst eine hausärztliche Praxis aufsuchen müssten, bevor sie einen Facharzttermin vereinbaren könnten. Mit Sicherheit wären davon auch dermatologische Leistungen betroffen. Und das könnte weitreichende Folgen für die ambulante fachärztliche Versorgung haben, im positiven, wie auch im negativen Sinne.

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Ein zentraler Vorteil eines Primärarztsystems liegt in der verbesserten Koordination von Patienten durch unser Gesundheitssystem: Hausärzte könnten gezielt überweisen, die Behandlungsabläufe strukturieren und damit sowohl Überdiagnostik als auch unnötige Facharztkontakte vermeiden. Gerade für die stationäre Versorgung könnte das Prinzip zu einer sinnvollen Entlastung führen. Denn wenn ambulante Leistungen besser vorab abgeklärt würden, würden unnötige Einweisungen der Vergangenheit angehören. Auch finanzielle Einsparungen im Gesamtsystem könnten daraus resultieren, zum Beispiel etwa durch eine geringere Zahl an Facharztbesuchen, die eben nicht zwingend medizinisch notwendig sind.

Allerdings bringt dieser Perspektiv- und Systemwechsel auch Risiken mit sich, vor allem für niedergelassene Dermatologen. Durch die vorgeschaltete hausärztliche Sperre könnte sich der Zugang für Patienten erschweren. Das wiederum könnte auch zu einem Rückgang der Fallzahlen in dermatologischen Praxen führen. Hinzu kommt die Gefahr, dass durch längere Wartezeiten auf Hausarzttermine Hauterkrankungen später erkannt und behandelt werden. Aus dem dermatologischen Alltag wissen wir, dass gerade bei malignen Hautveränderungen oder entzündlichen Hautbildern eine frühzeitige Diagnose und Therapie entscheidend sein kann. Auch stellt sich die Frage, inwieweit hausärztliche Kollegen über die notwendige dermatologische Fachkompetenz verfügen, um eine korrekte Einschätzung vorzunehmen. Reicht der HKS-Kurs im Hinblick auf seltene oder komplexe Hauterkrankungen? Diese Unsicherheiten könnten sich langfristig negativ auf die Versorgungsqualität auswirken, sowohl im ambulanten als auch im stationären Kontext, wenn Fehleinschätzungen zu unnötigen Einweisungen oder Verzögerungen führen.

Insgesamt zeigt sich also: Die Einführung eines Primärarztsystems in Deutschland hätte wesentliche Auswirkungen auf unsere bisherige Versorgungsstruktur. Während eine koordinierte, hausärztlich gesteuerte Versorgung durchaus Chancen für Effizienz, Kostenkontrolle und eine Entlastung des fachärztlichen Systems ermöglicht, sollte man eine sorgfältigen Planung und Umsetzung voraussetzen. Vor allem für die ambulante fachärztliche Versorgung, wie etwa in der Dermatologie, müssen klare Regelungen geschaffen werden, die den Zugang zu spezialisierter Diagnostik und Therapie weiterhin gewährleisten. Eine Möglichkeit wäre es, Ausnahmeregelungen für bestimmte Indikationen, beispielsweise akute Hautkrankheiten wie allergische Reaktionen zu etablieren, oder digitale Schnittstellen wie in der Telemedizin vermehrt zu nutzen, damit es zu einer schnelleren kollegialen Einschätzung durch Hausärzte kommt. Nur dann kann es einem solchen System zusammenhängend gelingen, Ressourcen gleichermaßen zu nutzen und zu schonen ohne die Versorgungsqualität und damit das Patientenwohl zu gefährden.

(B. Kroh)